Dem Vorzeigebau fehlt die Rampe

Das Landesmuseum hat viele begeisterte Reaktionen auf seinen modernen Neubau erhalten. Eine Besuchergruppe ist aber überhaupt nicht zufrieden.

Irène Troxler
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Die Rampe neben der Treppe zum Eingang des Landesmuseums-Erweiterungsbau ist zu steil für Rollstuhlfahrer. (Bild: Goran Basic / NZZ)

Die Rampe neben der Treppe zum Eingang des Landesmuseums-Erweiterungsbau ist zu steil für Rollstuhlfahrer. (Bild: Goran Basic / NZZ)

Es ist eine bunte Gruppe, die sich vor dem Landesmuseum versammelt hat: eine Frau und ein Mann im Rollstuhl, eine Architektin, eine ganze Reihe von Mitarbeitern des Landesmuseums, Behördenvertreterinnen sowie die halbe Geschäftsleitung der Behindertenorganisation Pro Infirmis. Gerade weil das Thema delikat ist, werden vorerst freundlich Höflichkeiten ausgetauscht. Doch dann nimmt Joe Manser, der Mann im Rollstuhl, der für die SP im Zürcher Gemeinderat sitzt, kein Blatt vor den Mund: «Wir haben hier einen tollen Neubau mit einer Treppe und einem grossen Vorplatz», konstatiert er. «Ich verstehe nicht, warum es nicht möglich war, eine Rampe zu bauen, die den Rollstuhlfahrern einen besseren Zugang zum Museum gewährt hätte.»

Schwere Türe, enger Lift

Zwar gibt es links neben der ausladenden Treppe ein kleine Rampe. Für Rollstühle ist sie aber viel zu steil. Und rechts davon ist eine Hebebühne zu erkennen. Allerdings kann sie nur von oben bedient werden. Rollstuhlfahrer sind also jederzeit auf Hilfe angewiesen, und zudem gilt die Hebebühne als Mittel letzter Wahl, das man nur einbaut, wenn es gar keine andere Möglichkeit gibt.

Mona Farag, die zuständige Architektin beim Planungsbüro Christ & Gantenbein, löst das Rätsel auf. Der Hauptzugang für Behinderte, der bei einem Museum gesetzlich vorgeschrieben ist, befinde sich beim Restaurant. Sie habe verschiedene Varianten für eine Rampe ausgearbeitet, sei aber nicht zu einem befriedigenden Resultat gekommen, räumt sie ein. Daher habe die Bauherrschaft schliesslich darauf verzichtet.

Man habe eine Abwägung zwischen den Anforderungen des Denkmalschutzes und der Behinderten-Gesetzgebung gemacht, argumentiert Daniela Ludwig, die Zuständige beim Umwelt- und Gesundheitsschutz der Stadt Zürich. Allerdings ist die Treppe, die für Behinderte eine Barriere bildet, kein historisches Baudenkmal, sondern ein neues Gestaltungselement.

Immerhin: Wer Bescheid weiss, gelangt auch im Rollstuhl ins Museum. Zu finden ist der dafür vorgesehene Nebeneingang freilich nicht leicht, da es beim Haupteingang kein entsprechendes Schild gibt. Und als Erstes stösst man auf eine Tür, die schwer zu öffnen ist. Dann müssen die Rollstuhlfahrer eine Schwelle und einen Teppich überwinden. Im Innern angelangt, haben sie zwei Möglichkeiten. Zuerst springt eine nächste Hebebühne ins Auge, die nun gleich getestet wird. Sie ruckelt ein wenig, bewegt sich aber kein bisschen nach oben. «Das ist der Grund, wieso man Hebebühnen vermeiden sollte», sagt Manser und zuckt mit den Schultern. «Sie funktionieren häufig nicht.» Der zweite Weg macht ebenfalls einen etwas notdürftigen Eindruck: Die Rollstuhlfahrer müssen eine Tür öffnen, die gemäss einem Schild zu einer Toilette gehört. Dahinter verbirgt sich ein kleiner Lift, in den Joe Mansers Rollstuhl ganz knapp passt. Damit überwindet er schliesslich den kritischen Meter Steigung, der den Zugang zum Landesmuseum so beschwerlich macht. Allerdings gelangen unsere beiden Rollstuhlfahrer damit erst ins Bistro. Wo sich der eigentliche Eingang zu den Ausstellungen befindet, müssen sie dann selbst herausfinden.

«Massive Barrieren»

Gesetzlich verlangt sei ein «gleichwertiger Zugang» für Behinderte, gibt Rita Roos, die Direktorin von Pro Infirmis, zu bedenken. Hier aber sehe sie «massive Barrieren». Dies betreffe nicht nur Menschen im Rollstuhl, sondern auch viele ältere Leute, die nicht mehr gut zu Fuss seien. Auch ihnen sei es nicht zuzumuten, schwere Türen aufzustossen und lange nach dem Lift zu suchen. Die Vertreter des Landesmuseums hören aufmerksam zu und machen sich Notizen. Sie dürften froh sein, dass die neuen Ausstellungen besser wegkommen im Urteil der Rollstuhlfahrer. Die Beschilderungen sind auf der richtigen Höhe, und die meisten Exponate können auch aus sitzender Position angeschaut werden. Allerdings gilt es auch hier viele Treppen zu überwinden, und die Lifte sind nicht immer leicht zu finden. Die Landesmuseum-Mitarbeiter zeigen Verständnis für die Kritik und geben an, die vielen Verbesserungsvorschläge seriös prüfen zu wollen. Auch den Bau einer Rampe wolle man nochmals erwägen. Versprochen wird allerdings nichts.

Repräsentation ist wichtiger

Für Joe Manser, der selbst Architekt ist, ist das Landesmuseum ein Beispiel unter vielen. Bei öffentlichen Bauten greife die Architektur gerne zu ausladenden Gesten. Mit repräsentativen Treppen versuche man, die Bedeutung einer Baute zu unterstreichen. Auch der neue Hochschulcampus auf dem Toni-Areal empfange die Besucher mit einer ausladenden Treppe und schliesse damit Personen mit Rollkoffern, Kinderwagen, Rollatoren oder Rollstühlen aus.

Allerdings kennt Susanne Stahel, die Kommunikationsleiterin von Pro Infirmis, etliche Museen, die besser zugänglich sind für Menschen im Rollstuhl: die Pinakotheken in München sowie das dortige NS-Dokumentationszentrum, das Charlie-Chaplin-Museum bei Vevey, das Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart oder das Zentrum Paul Klee in Bern. Ob das Landesmuseum mit Nachbesserungen noch etwas aufrücken kann zu diesen Vorbildern, wird man sehen. Die letzte Etappe der Gesamterneuerung wird erst 2020 abgeschlossen sein.